Eine Revue aus den 20ern also... Ich war von Anfang an nicht so richtig überzeugt, aber man soll ja auch mal neues probieren. In meinem geliebten Theater Dortmund kann es auch nicht schlecht sein, schließlich habe ich die vorherigen Musical-Produktionen auch geliebt (Songs for a new World). Außerdem freute ich mich sehr auf Bettina Mönch und Annabell kam ja nur deshalb zu uns nach NRW... Also eigentlich kam sie wegen Anton Zetterholm, aber ich versuche ihr das nicht zu persönlich zu nehmen.
Am 21.10. Abends holten Person B und ich sie also am Hauptbahnhof ab. Wir aßen noch etwas, planten den Konzertbesuch am folgenden Tag und fielen dann ins Bett. Am nächsten morgen, nach dem Frühstück ging es erstmal in die Stadt mit uns: Ein Band für Annabells Polaroidkamera, einen Edding für Unterschriften auf ihrem Schuh und alles was wir brauchen um uns einen Kopfschmuck à la 20er zu basteln wurde eingekauft... Nein, stand auf dem Plan. Den Edding haben wir vergessen...Das einzige was WIRKLICH wichtig gewesen wäre... Wir hatten aber keine Zeit mehr zurück zu fahren, da wir unseren Zug erwischen mussten... Also im Zug eine kleine Näh-Werkstatt eröffnet und den Kopfschmuck hergestellt. Ich hasse ja Handnähen. Ein hoch auf Nähmaschinen... und Fingerhüte, sonst hätte ich wohl auch Pflaster gebraucht. Ich bin jetzt nicht für mein Geschick bekannt. Der Zug endete wegen zu viel Verspätung in Witten. Ich liebe die DB... Also von Witten mit dem RB, der in JEDEM Dorf hält, bis nach Dortmund. Hallelujah, wir sind angekommen! Dann zu Fuß durch die Dortmunder Innenstadt zum nächsten Schreibwarengeschäft, wo wir den vergessenen Edding kaufen. Wir suchen nach einem Restaurant in der Nähe, da wir seit dem Frühstück nichts gegessen hatten und entscheiden uns fürs Vapiano ganz in der Nähe vom Theater. Zum Glück reicht die Zeit auch trotz Verspätung noch, dass wir uns nicht all zu sehr hetzen müssen. Die Nervosität steigt bei uns beiden je näher wir dem Theater kommen. Wir sitzen im zweiten Rang in der ersten Reihe. Meine Lieblingsplätze in Dortmund (ja, auch weil sie günstig sind). Wir nehmen uns auf dem Weg noch ein Programmheft mit und setzen uns ins Foyer. Beim Überfliegen des Hefts werden uns zwei Dinge klar: 1.) die wechselnden Crooners (Anton Zetterholm, Alexander Klaws, David Jakobs und Mark Seibert) singen alle unterschiedliche Lieder und 2.) auf dem ganzen Blatt kennen wir vielleicht 3 Lieder... Ist halt irgendwie nicht so unsere Zeit (Hier der Link zur Playlist: Spotify – Berlin Skandalös).
Wir dürfen in den Saal und nehmen unsere Plätze ein. Ich liebe das Bühnenbild schon jetzt. Einer der Gründe weshalb ich das Opernhaus so liebe. Selbst die einfachen Bühnenbilder, die sich nicht groß verwandeln können, so wie jetzt oder bei Songs for a new sind unglaublich gut durchdacht und vielseitig.
Im Heft wird das Stück wie folgt beschrieben: Vom Tanztee über Sechstagerennen bis hin zu Jahrmarktzauber hatte das Berlin der 20er Jahre viel zu bieten! Das musikalische und textliche Originalmaterial wurde zu einem theatralischen Drogencocktail aus Lust, Sinnlichkeit, Tanz und Überschwang verwoben. Das Bühnenbild greift Versatzstücke aus Cabaret auf - ein Vorgeschmack auf 2022/23!
Das hatte ich ja fast vergessen zu erwähnen: Die Revue ist die "Vorbereitung" auf Cabaret was in der kommenden Spielzeit als Musical auf dem Spielplan des Theaters steht. Ich bin sehr gespannt darauf, ich habe das Stück bisher einmal im Tipi am Kanzleramt in Berlin gesehen. Aber zurück zu Berlin Skandalös!
Wir sitzen auf unseren Plätzen und das Licht wird verdunkelt. Rob Pelzer betritt als der Komponist G. Antheil die Bühne und spielt mit Hilfe von zwei Ensemblemitgliedern, verkleidet als seine Hände am übergroßen Klavier "Toccata Nr. 2", spannend, eine Musical Revue mit einem klassischen, rein instrumentalen Stück zu beginnen (In diesem Moment fiel dem Autor auf, dass viele Musical Openings ebenfalls rein instrumental sind... Ja okay, ich sehe meinen Fehler ein). In der Zeit wird Angelika Milster auf die Bühne geholfen und die Musik geht in den "Großstadt-Song" über. Das Lied wird immer wieder unterbrochen und ein Amerikaner erzählt uns, wie er Berlin wahrnimmt. (Ich hatte erwähnt, dass es der Auftakt zu Cabaret ist?) Irgendwann trägt uns die Geschichte zum Hafen (von Berlin? Berlin hat einen Hafen? So groß ist die Spree doch gar nicht...). Der "Großstadt-Song" geht über in "Das ist die Liebe der Matrosen" und wir lernen das männliche Ensemble kennen (Lass mich nicht lügen, aber ich glaube das Ensemble ist der diesjährige Abschlussjahrgang der Folkwang Uni in Essen. Nagelt mich nicht drauf fest). Louis Dietrich, Nico Hartwig, Lukas Mayer (den ich erst vor kurzem in Bonn bei Chicago gesehen habe) und Samuel Türksoy singen alle eine andere Stimme. Unfassbar beeindruckend. Rob Pelzer als Conférencier führ durch das gesamte Stück und erklärt uns, dass wir jetzt am Bahnhof sind. "Hoppla, jetzt komm ich" singt Tom Zahner. Er tauscht Vodka gegen Wörterbuch und Ledermantel gegen Uniform. Gemeinsam mit dem Conférencier wechseln wir wieder den Ort, wo das Starlet, gespielt von Bettina Mönch "Die Zeitfurie" singt. Sie betritt im Fellmantel den Speisesaal, lässt in im Laufe des Liedes fallen und steht nackt auf der Bühne. "Wissen Sie nicht mal was neues für mich, was ganz verrücktes, was ganz modernes [...] Ich weiß: Ich ziehe gar nichts an!" Das Ensemble bedeckt sie mit Zeitungen, während sie das Lied zu Ende singt. Quickchange auf der Bühne, hinter den Zeitungen und sie verschwindet im roten Kleid nur um bei "Berlin im Licht" als Ensemblemitglied wieder als Ensemblemitglied auf der Bühne unterzutauchen. Dazwischen sehen wir immer wieder, wie sich Tom Zahners russischer Einwanderer in Berlin einlebt: "Einmal möcht' ich keine Sorgen haben". Nach einem kurzen Monolog ertönt der Ruf der Revolution des weiblichen Ensembles: Angelika Milster, Bettina Mönch, Maja Dickmann, Yasmina Hempel und Florentine Kühne singen "Raus mit den Männern aus dem Reichstag". So progressiv hätte ich die Musik der 20er jetzt wirklich nicht gehalten. Ich bin positiv überrascht wie wenig sexistisch die Revue ist.
Wir gehen über zum Tanztee. Der Gigolo Jörn-Felix Alt zeigt bei "Ich mache alles mit den Beinen" was er kann und er KANN. Begleitet von "Schöner Gigolo, armer Gigolo" beobachten wir ihn bei seinem Tageswerk. "Für den Eintänzer kann keine Garantie übernommen werden". Das fasst es ganz gut zusammen. Uns wird "Känguru" beigebracht. Ich glaube das Theater hatte im Advent tatsächlich eine Anleitung ins Netz gestellt. Wenn ich sie finde, kommt hier der Link: Theater Dortmund
Es folgt "Am Amazonas". Himmel, war das notwendig? Die Aussage des Liedes wird nur klar, wenn man ganz genau hinhört und wenn man das nicht tut, ist es auch grade mit der Art wie es inszeniert ist unheimlich rassistisch. Ich weiß, genau so wird es wahrscheinlich gedacht sein, dass es schockiert und dass man eben genau hinhört. Dennoch ist es für mich persönlich etwas zu brutal. Jörn-Felix Alt schleppt seine erschlagene Mittänzerin von der Bühne und wir haben einen Szenenwechsel. "Herr Doktor, Herr Doktor". Dem Doktor wird die Frau ausgespannt und wir landen im Kino: "Wenn ich sonntags in mein Kino geh". Wir bleiben in der Unterhaltung und gehen zum "Sechstagerennen" über. Ich bin grade nicht motiviert genug den Hintergrund dazu zu recherchieren. Aus dem Lied leite ich ab, dass es sich wohl um ein sechstägiges Radrennen handelt, ohne Pause, im Kreis. Ein Radfahrer und sein Rad fliegen einmal quer über die Bühne und werden vom restlichen feiernden Ensemble beobachtet.
Die nächsten Lieder widmen sich der Liebe und den essentiellen Fragen: "Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben"? "Was hast du für Gefühle, Moritz"? Bei "Wenn die beste Freundin" ahne ich, dass die besten Freundinnen wohl mehr als nur beste Freundinnen sind. Nur so eine Ahnung: "[...] wenn zwei Freundinnen, die eine meist zart und schlank, die andere [...] mehr Mann als Weib , die eine demütige Sklavin, die andere die gestrenge Herrin". Können wir noch mehr lesbische Klischees aufzählen, bitte? Nein? Okay. "Mit der Lehre der Zwischenstufen und einer Ablehnung der binären Geschlechterordnung lässt sich die Liebe zu Personen des eigenen Geschlechts überzeugend nachvollziehen. [...] Sexualität muss nüchtern und Vorurteilsfrei betrachtet werden" Schön zusammengefasst.
"Was ist ein Chason?
Wenn man singt "Ich liebe dich", dann ist das eine Oper.
Wenn man singt "Ich bin verliebt", dann ist das eine Operette.
Wenn man singt "Sei lieb zu mir", dann ist das ein Schlager.
Wenn man aber singt "Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt", DANN ist das ein Chanson"
Genau das Lied folgt auch. Eines der drei die ich kenne. Und eins, was ich sehr liebe. Ich mag einfach Chansons.... Wie auch schon "Comme ils disent" in Füssen (Ein Musical-Sommerabend). Bettina Mönchs Charakter wartet sehnsüchtig auf den Anruf des Liebhabers, der aber nicht kommt. "Irgendwo auf der Welt gibt's ein kleines bisschen Glück" singt das Männerensemble vierstimmig. Sie sind wirklich unfassbar gut. Bettinas Charakter ruft ihren Partner an und erzählt von ihrem Treffen mit einem vermeintlichen Regisseur am Vorabend Er habe eine Hauptrolle für ihn, sein Gepäck sei beim Zoll und nach dem Essen stellte er fest, er habe nur Dollar dabei, wodurch sie habe zahlen müssen. Am nächsten Morgen im Hotel habe sie festgestellt, dass er ihr Geld mitgenommen habe. "Mein Herr" aus Cabaret ist das nächste Lied, was ich kenne. Ich hoffe sehr, dass Frau Mönch in der nächsten Spielzeit als Sally Bowels in Dortmund auf der Bühne stehen wird. Die Chancen stehen gut, wenn ihr Ehemann, Gil Mehmert wie so oft in dem Theater die Regie übernimmt. Das Männerensemble tanzt neben ihr. Halb als Herren, halb als Damen. Also nicht 2 so, die anderen 2 so. Alle zu 50% das eine zu 50% das andere. Ein Lob auf das Kostüm und Maskenteam des Theater Dortmund. Wir sind auf der Polizeistation, wo Fräulein Bowels Anzeige erstattet, gegen den Mann, der sie bestohlen hat. Dabei lernen wir, dass sie sich mit dem Mann verlobt habe... Sie verschwindet.
Die Zeit des Radios bricht an und er "Lieblingstenor" hat seinen großen Auftritt. In diesem Fall, der Lieblingstenor von Annabell neben mir: Anton Zetterholm. Ganz in weiß betritt er die Bühne und singt ins altmodische Standmikrofon "Stairway to Paradise" inklusive Stepp-Einlage. "Minnie the Moocher" kenne ich auch... Aus Blues Brothers... Person C hatte eine Phase, wo er die CD hoch und runter gehört hat. Grade den freien Teil des Liedes (der wo der Sänger vorsingt und das Ensemble nachsingt, ihr wisst schon was ich meine) ist in diesem Fall sehr faszinierend. Der Radio-Block endet (mit Anton als Crooner) mit "I can't give you anything but love", bevor das Radio zerschlagen wird und "der Marsch ins dritte Reich" anbricht. Ich kann nicht sagen, ob die eingespielte Rede eine echte Hitler-Rede ist oder ob sie nur so klingt. Vermutlich ist es die Sportpalast-Rede? Ich weiß es wirklich nicht. Ich finde die Inszenierung geht sehr gut mit dem Thema um. Sie zieht die Nationalsozialisten ins lächerliche, ohne die Qual und den von ihnen verursachten Schmerz und das Leid klein zu spielen oder lächerlich zu machen. Sehr, sehr gut umgesetzt.
"Das Karussel" der Zeit geht weiter. Das Ensemble schnupft eine nicht weiter identifizierbare Droge und liegt am Ende des Liedes völlig fertig über die ganze Bühne verteilt. Sie singen liegend und hängend "Und über uns der Himmel". Ich bin jetzt kein Profi, aber die letzten 10 Jahre Gesangsunterricht erlauben mir die Aussage, dass das VERDAMMT schwierig ist im liegen vernünftig zu singen. Man braucht zum Singen Körperspannung!
Das letzte Wort hat Anton Zetterholm mit "Good Night". Wunderschön.
Wir applaudieren mit allen anderen, machen kurz noch ein paar Bilder vom Schlussapplaus und gehen ins Foyer, wo zwei Tische für Autogramme aufgebaut sind. Diesmal bin nicht ich Diejenige die erstarrt und keinen Satz mehr rausbekommt, wie in Füssen (Ein Musical-Sommerabend), sondern Annabell. Ich rede relativ lange auf sie ein, ob wir uns jetzt anstellen sollen oder nicht. Ich erwische Bettina Mönch sicher auch ein anderes Mal in Dortmund, vielleicht in der nächsten Spielzeit, vielleicht bei meinem nächsten Besuch in genau dem selben Stück. Wir entscheiden uns zu gehen. Stage Door im Halbdunkeln ist wohl eher unser Fall als Autogrammstunde, bei der man uns auch sehen kann. Vielleicht schaffen wir es ja, Anton im Mai in Stuttgart bei der Disney Tour abzufangen. Allerdings werden wir da wohl beide zu nichts zu gebrauchen sein, Roberta Valentini ist schließlich auch dabei...
Wir schleichen uns also unverrichteter Dinge aus dem Theater und warten am Bahnhof auf den Zug. Ich schicke meiner Oma (mit der ich auch in Ku'damm 56 war) die Liste der Lieder. Sie erkennt sie alle.... Andere Generation halt, vielleicht sind wir einfach wirklich zu jung für das Stück...
Fazit: So richtig den Zusammenhang der Revue habe ich nicht verstanden. Den von einzelnen Liederblöcken ja. Aber das Gesamtkonzept? Auch den Monologen zwischen den Liedern hatte ich zwischenzeitig das Gefühl, intellektuell nicht ganz gewachsen zu sein. Dennoch: Es ist unfassbar gut gemacht. Orchester, Ensemble, Solisten und Bühnenbild sind, wie immer im Theater Dortmund wirklich großartig. Und (Spoiler!) wenn man zum zweiten Mal im Stück sitzt und nicht alles völlig neu ist, kann man viel besser darin eintauchen und es wird alles etwas sinniger. Chapeau Theater Dortmund. Wirklich gut gemacht.
Hier kommt ihr zu Annabells Artikel zum gesamten Wochenende bei mir: Berlin Skandalös - halfatarzanmonkey
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Annabell (Sonntag, 03 April 2022 15:49)
Ich war auch wegen dir da �, also bitte �
Und ja ich kann auch vor Aufregung erstarren bei Menschen die ich sehr mag �.